16. Januar 2019 – Autor: Jochen Werne
Fast täglich wird von Experten in den Medien versucht für uns eine geschichtliche Analogie herzustellen, um die Dynamik und Geschwindigkeit zu erklären, mit der sich heute Veränderungen auf allen Ebenen unseres Lebens – vom privaten Konsum, unserer Arbeitswelt bis hin zu internationaler Politik – vollziehen. Oftmals werden hierfür Vergleiche zu den 1930ern oder 70ern gezogen. Der bekannte britische Historiker und Harvard Professor Niall Ferguson widerspricht diesen Vergleichen und sieht eine Analogie vielmehr in den Effekten, die die Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert auf unser Leben und auf unsere Gesellschaft hatte. Nur, dass sich heute die Veränderungen durch exponentielle Technologien und das Internet wesentlich schneller vollziehen. Für uns Menschen – also den HUMAN Factor – sind diese Vergleiche unglaublich wichtig. Sie helfen uns in Zeiten der Unsicherheit, die Veränderungen besser einschätzen zu können und somit zumindest ein gewisses beruhigendes Gefühl der Sicherheit und Erklärbarkeit zu erhalten. Wenn es uns jedoch nicht gelingt in Zeiten von Social Media und medialem „information overload“ die richtigen Filter zu setzen, laufen wir Gefahr, dass sich dieses Gefühl des Verständnisses nicht einstellt und wir allzu leicht Opfer vermeintlich einfacher Erklärungen und „Fake News“ werden. Dass dies kein neues Phänomen ist und gravierende technologische Veränderungen auch große und oftmals turbulente Veränderungen auf die Gesellschaft mit sich brachten, macht Ferguson an einem prägnanten Beispiel fest. In Zeiten der Erfindung des Buchdrucks kam es zu einer kostengünstigeren Verbreitung von Wissen und somit zur Möglichkeit, dass breite Bevölkerungsschichten Zugang zu höherer Bildung erlangten. Eines der ersten in großer Auflage gedruckten Werke war die Bibel. Doch erlangten auch andere Schriften, wie „Malleus Maleficarum“ oder zu deutsch der Hexenhammer Berühmtheit. Das eindeutige „Fake News Werk“ diente zur Rechtfertigung der Hexenverfolgung, erschien in 29 Auflagen und belegte für immerhin 200 Jahre den zweiten Platz der Bücherbestsellerliste.
Spätestens seit Ende der 90er Jahre, seit der massenhaften „Demokratisierung“ des Internets, ist unser aller Leben durch den exponentiellen Fortschritt moderner Technologien geprägt. Die damit einhergehende Digitalisierung – also der DIGITAL Factor – ist nicht nur eine technische und ökonomische Herausforderung, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche. Dass der aufgeklärte Mensch jedoch beginnt, nicht alles einfach unreflektiert hinzunehmen, was eine an Aldous Huxley erinnernde „Schöne neue Welt“ zu versprechen scheint, zeigen Bürgerprojekte, wie die sogenannte „Charta der Digitalen Grundrechte“ der Europäischen Union.
Bereits im Wort „exponentiell“ verbirgt sich automatisch die logische Schlussfolgerung, dass sich Veränderungen in Zukunft noch schneller vollziehen werden. Diese Veränderungen betreffen nahezu jede Branche und was heute ein milliardenschwerer Zukunftsmarkt ist,kann morgen schnell zu einem Basisgeschäft mit deutlich geringeren Kosten und somit auch deutlich geringeren Gewinnmargen werden. Der Kamera-Chip unserer Smartphones kostet heute nur noch rund zwei bis drei Euro, ein Spotify-Abo, und somit der Zugriff auf eine unfassbar große Menge an Musik, nur wenige Euro im Monat.
Die Schlussfolgerung für Unternehmen im 21. Jahrhundert ist sichtlich einfach: Wer diese exponentiellen Dynamiken von technischer Entwicklung nicht versteht oder nicht ausreichend in seinem Geschäftsmodell berücksichtigt, kann schnell den Anschluss verlieren – Anschluss an Kunden aber auch an potenzielle Geschäftspartner.
Doch warum fällt es uns so schwer, das Entwicklungspotenzial der Technologien richtig einzuschätzen? Die Antwort: Menschen denken linear. Deswegen werden Technologien zu Beginn der Entwicklung meist überschätzt, langfristig aber tendenziell unterschätzt. Dies wurde 1965 durch den Intel Ingenieur Gordon Moore erstmals beschrieben – später bekannt als Moore´s Law, einer der wesentlichen Theoriegrundlagen der „digitalen Revolution“.
Unsere Gesellschaft lebt in Zeiten exponentieller Technologien natürlich auch mit der Gefahr einer Spaltung zwischen der Gruppe digital affiner Bevölkerungsschichten und Digital Natives sowie einer Gruppe von Menschen, die wachsende Schwierigkeiten mit der Veränderungsgeschwindigkeit unserer Zeit hat. Letztere haben aufgrund geringer Affinität, teilweise des Alters oder fehlender Berührungspunkte im Alltag nicht gelernt, mit den schnelllebigen digitalen Innovationen Schritt zu halten. Mit allen technischen Möglichkeiten geistern zudem Begrifflichkeiten durch die Medien, die vielen Sorgen bereiten und Ängste schüren: „Totale Transparenz“, „gläserner Konsument“, „ständige Verfügbarkeit“ oder gar Arbeitsplatzverlust aufgrund anhaltender Automatisierung und Artificial Intelligence. Auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene wird versucht solchen Ängsten entgegenzuwirken, Konkurrenzfähigkeit zu steigern und die eigene Bevölkerung in den Veränderungsprozess miteinzubeziehen. Zwei der vielen guten Beispiele in Deutschland hierfür sind, die von der Bundesregierung verabschiedete Strategie zu Künstlicher Intelligenz oder die vom BMBF initiierte Plattform für Lernende Systeme.
Es gilt bei jeder Veränderung – sei der Auslöser auch eine sich schnell entwickelnde Technologie – nie zu vergessen, dass es einem zeitlichen Horizont bedarf um Neues zu implementieren und eine breite Akzeptanz zu schaffen. Hier kommt der „CULTURE Factor“ oftmals ins Spiel. Ein Beispiel ist Bargeld. Während die skandinavischen Länder, allen voran Schweden, davor stehen ihre Bezahlsysteme weitgehend zu digitalisieren, werden in Deutschland aktuell noch rund 80 Prozent aller Transaktionen mit Bargeld durchgeführt. Es gilt also in jedem Geschäftsmodell globale Trends zu erkennen, Veränderungen zu treiben, jedoch auch lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen, um in diesem Markt erfolgreich zu sein. Dieselbe Formel gilt für unsere gesellschaftlichen Veränderungen und das Ziel neue Technologien zum Guten für unsere Gesellschaft einsetzen zu können.