ZEIT DES MISSTRAUENS

TEASER

Ein Plädoyer für Vertrauen in einer Zeit des Misstrauens. Vertrauen ist die Grundlage, auf der Währungssysteme aufgebaut sind. Vertrauen bildet  die Basis internationaler diplomatischer Beziehungen und ist die Grundlage für jeden Fortschritt. 

Doch was passiert, wenn das Vertrauen einmal erschüttert ist? 

Der aktuelle diplomatische Streit um einen milliardenschweren U-Boot-Vertrag, die Sorge um einen neuen kalten Krieg und der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems vor genau 50 Jahren sind das Manuskript für diese maritim angehauchte französisch-amerikanische Geschichte über Geld und Vertrauen. Sie ist ein Lehrstück für unsere heutige Zeit, wo wir das Entstehen von Kryptofinanzmärkten miterleben und somit an der Schwelle zu einer neuen Form des Geldes stehen.

ZEIT DES MISSTRAUENS

von Jochen Werne

Nach dem traditionellen langen Sommerurlaub, erwacht Frankreich im September wie jedes Jahr aus dem kurzen selbst kreierten Dornröschenschlaf.  Das Leben beginnt seinen gewohnten Gang zu nehmen, auch wenn manch einer noch in Erinnerungen schwelgt und dabei vielleicht die ersten Vorboten post-Covid-sorgenfreien Lebens genießt.  Nicht so Philippe Étienne. Für ihn beginnt auf der anderen Seite des Atlantik, im für diese Zeit eigentlich malerischen Washington, der Herbst mit einem diplomatischen Gewittersturm. Ein Unwetter, das selbst für den 65-jährigen grau-melierten eloquenten Botschafter Frankreichs neu gewesen sein dürfte. 6 160 Kilometer entfernt beschließt im Élysée-Palast Président de la République Emmanuel Macron seinen Spitzendiplomaten in den USA, samt seines australischen Amtskollegen Jean-Pierre Thebault, zu Konsultationen nach Paris abzuberufen.  Der in der französisch-amerikanischen Geschichte einmalige Akt wird von Außenminister Jean-Yves Le Drian mit der „außergewöhnlichen Schwere“ einer australisch-britisch-amerikanischen Ankündigung gerechtfertigt und mit den Worten „Lüge“, „Doppelzüngigkeit“, „Missachtung“ und „ernste Krise“ eindrucksvoll unterstrichen. 

Im Mittelpunkt dieser Krise steht die überraschende Ankündigung der genannten Länder ab sofort ein strategisches trilaterales Sicherheitsbündnis (AUKUS) einzugehen. Ein Bündnis, welches auch die Beschaffung atomgetriebener U-Boote für Australien vorsieht und somit einen bereits 2016 initiierten 56 Milliarden Euro schweren französisch-australischen U-Boot- Auftrag quasi ad acta legt. Der Abschluss des Abkommens fällt in einen Zeitraum in welchem US-Präsident Joe Biden vor der UN-Generalversammlung beteuert: „Wir streben nicht – ich wiederhole: wir streben nicht – einen neuen kalten Krieg oder eine in starre Blöcke geteilte Welt an“. Über diesen sogenannten „neuen kalten Krieg“ zwischen den USA und China sprechen Experten, wie der bekannte Historiker Niall Ferguson jedoch bereits seit 2019. Es geht hierbei nicht um atomares Wettrüsten, sondern vielmehr um die Technologievorherrschaft in Cyber Security, Künstlicher Intelligenz und Quantum Computing. Auch wenn nukleargetriebene U-Boote im Zentrum des diplomatischen Disputs stehen, so stellt man im AUKUS-Abkommen doch schnell fest, dass die Zusammenarbeit in den oben genannten Feldern einer der wichtigsten Bestandteile des Vertrags ist.  Ein Ziel, welches vielleicht auch mit französischen Interessen kongruent ist. Doch geht es im Streit zwischen den alten Freunden im ersten Moment weniger um das „Was“, sondern viel mehr um das diplomatische „Wie“ – das heißt, um den Vertrauensbruch, der ausgelöst wird, wenn man enge Bündnispartner einfach vor vollendete Tatsachen stellt. Tatsachen, die sie auch finanziell und persönlich betreffen. 

Denn Geld und Vertrauen sind eng verwoben. Das Vertrauen einer Bank, dass der Gläubiger seine Schulden zurückbezahlt. Das Vertrauen eines Bürgers, dass die Währung, in der er oder sie ihre Gehälter ausbezahlt bekommt, stabil ist. Das Vertrauen eines Staates in ein Währungssystem, dass die dort getroffenen Vereinbarungen von allen eingehalten werden.  Georg Simmel bringt es in seiner „Philosophie des Geldes” so auf den Punkt: „Geld ist die vielleicht konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens in die gesellschaftlich-staatliche Ordnung.“ 

Eine weiteres französisch-amerikanisches Vertrauensbruchsmelodrama mit maritimer Untermalung jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Die bewegenden Ereignisse des 6. August 1971 beschreibt Benn Steil, Senior Fellow des Council on Foreign Relations, in seinem Buch „The Battle of Bretton Woods wie folgt: „…ein Unterausschuss des Kongresses gab einen Bericht mit dem Titel  ´Action Now to Strengthen the US-Dollar` heraus, der paradoxerweise zu dem Schluss kam, dass der Dollar geschwächt werden müsse. Das Dollar-Dumping beschleunigte sich und Frankreich schickte ein Kriegsschiff, um französisches Gold aus den Tresoren der New Yorker Fed abzuholen.“ 

Diese dramatisch anmutende Geste des damaligen französischen Präsidenten Georges Pompidou im finalen Akt des Zusammenbruchs des Bretton-Woods Systems wirkt auf den ersten Blick genauso befremdlich wie der Abzug der Botschafter heute.  Die Basis jedoch ähnelt sich und lag damals wie heute in einem ebenfalls erschütterten  Vertrauen zwischen den doch so eng verwobenen großen Nationen. Ohne tiefer auf die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene neue Währungsordnung mit dem US-Dollar als Ankerwährung eingehen zu wollen, ist es wichtig den im „White Plan“ offensichtlichen Grund des französischen Aufbegehrens zu verstehen. Der Plan sah vor, dass die USA den Bretton-Woods-Teilnehmerstaaten garantierten, Gold auf unbestimmte Zeit zum festen Kurs von 35 US-Dollar pro Unze kaufen und verkaufen zu dürfen. Das Dilemma dieser Regelung wurde früh sichtbar. Denn bereits Ende der 1950er Jahren überstiegen die bei ausländischen Zentralbanken befindlichen Dollarbestände die Goldreserven der USA. Als der französische Präsident Charles de Gaulle 1966 die USA aufforderte die französischen Dollarreserven gegen Gold zu tauschen, reichten die Goldvorräte der FED, nur für etwa die Hälfte. Der immer tiefer sich verankernde Vertrauensverlust zwang den amerikanische Präsidenten Richard Nixon am 15. August 1971 die nominale Goldbindung aufzukündigen und der sogenannte „Nixon-Schock“ beendete das System wie es war.

Und dort wo etwas endet kann oder wird zwangsläufig etwas Neues beginnen.

Heute leben wir in einer Welt, in der die Stabilität unserer Währung auf unserem Vertrauen in die staatliche Finanzpolitik, der Wirtschaftskraft unseres Landes und auf der guten Arbeit einer unabhängigen Zentralbank beruht. Wir leben jedoch auch in einer Zeit in der sich am dichten Horizont bereits neue Währungssysteme abzeichnen. Die Basis dafür legte 2008 nicht überraschend eine der schwersten Vertrauenskrisen in das internationale Bankensystem, die die Neuzeit erlebete. Und umgesetzt werden die neuen Systeme mit Hilfe modernster Distributed-Ledger Blockchain Technologie. Das Neue mit seinem dezentralen Charakter fordert das Alte heraus. Während viele der neuen Währungen in der Kryptowelt, wie etwa der Bitcoin, großen Schwankungen unterworfen sind, versprechen Stablecoins eine Bindung und fixe Umtauschbarkeit an einen vorhandenen Wert, wie beispielsweise den US-Dollar oder auch Gold. Die alte Bretton-Woods-Herausforderung, dieses Versprechen auch jederzeit einhalten zu können, bleibt jedoch auch in der neuen Welt bestehen. Von der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft verhängte Strafen in Millionenhöhe gegen den größten US-Dollar Stablecoin Tether wegen nicht lückenloser Nachweisbarkeit helfen dem Vertrauen wenig, besonders wenn weniger als 3 Prozent der Marktkapitalisierung auch wirklich in US-Dollar Cash hinterlegt ist. Es gilt wie immer bei neuem, Vertrauen aufzubauen. Sei es privatwirtschaftlich durch eventuell einen zu 100% mit Zentralbankgeld hinterlegten Stablecoin oder staatlich, mit durchdachten Central Bank Digital Currencies, wie dem von der Europäischen Zentralbank geplanten digitalen Euro.

Wir leben in einer Welt immer währenden schnellen Wandels und Vertrauen ist, wie Osterloh es beschreibt, „der Wille sich verletzlich zu zeigen“. Ohne Vertrauen gibt es keine Bündnisse, kein Miteinander, keinen Fortschritt. 

Philippe Étienne war bereits nach ein paar Tagen zurück im herbstlichen Washington und arbeitet seither wieder daran wofür Diplomaten bestens ausgebildet sind – Vertrauen zu schaffen.

Quellen

Billon-Gallan, A., Kundnani, H. (2021): The UK must cooperate with France in the Indo-Pacific. A Chatham House expert comment. https://www.chathamhouse.org/2021/09/uk-must-cooperate-france-indo-pacific (Abgerufen 24.9.2021)

Brien, J. (2021): „Stablecoin ohne Stabilität“: Tether und Bitfinex zahlen 18,5 Millionen Dollar Strafe. URL: https://t3n.de/news/stablecoin-tether-bitfinex-strafe-1358197/?utm_source=rss&utm_medium=feed&utm_campaign=news (Abgerufen: 30.9.2021)

Corbet, S. (2021): France recalls ambassadors to U.S., Australia over submarine deal. URL: https://www.pressherald.com/2021/09/17/france-recalls-ambassadors-to-u-s-australia-over-submarine-deal/  (Abgerufen am 25.9.2021)

Ferguson N. (2019): The New Cold War? It’s With China. And It Has Already Begun. URL: https://www.nytimes.com/2019/12/02/opinion/china-cold-war.html (Abgerufen: 30.9.2021)

Graetz, M., Briffault, O. (2016): A “Barbarous Relic“: The French, Gold , and the Demise of Bretton Woods. URL: https://scholarship.law.columbia.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3545&context=faculty_scholarship S. 17 (Abgerufen 25.9.2021)

Osterloh, M., Weibel, A. (2006): Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen, Gabler: Wiesbaden.

Steil, B.  (2020): The Battle of Bretton Woods: John Maynard Keynes, Harry Dexter White, and the new world, S. 377 

Stolze, D. (1966): Besiegt de Gaulle den Dollar? In der ZEIT Nr. 36/1966. URL: (https://www.zeit.de/1966/36/besiegt-de-gaulle-den-dollar/komplettansicht (Abgerufen: 26.9.2021)

The Guardian Editorial (2021): The Guardian view on Biden’s UN speech: cooperation not competition URL: https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/sep/22/the-guardian-view-on-bidens-un-speech-cooperation-not-competition(Abgerufen: 29.9.2021)

Unal, B., Brown, K., Lewis, P., Jie, Y. (2021): Is the AUKUS alliance meaningful or merely a provocation – A Chatham House expert comment. URL: https://www.chathamhouse.org/2021/09/aukus-alliance-meaningful-or-merely-provocation (Abgerufen: 24.9.2021) 

Zeit-Online (2021): Frankreich sieht Verhältnis in der Nato belastet. URL: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-09/u-boot-deal-frankreich-australien-usa-streit-nato-jean-yves-le-drian?utm_referrer=https%3A%2F%2Fmeine.zeit.de%2F (Abgerufen: 25.9.2021)