Handelsblatt Blogbeitrag: EIN NEUES ZEITALTER DER AUFKLÄRUNG

Von der Antarktis zu Artifical Intelligence, eine von Menschen gemachte Reise zwischen Brillanz und Wahnsinn

Autor Jochen Werne – Ein Blogbeitrag für die Handelsblatt Jahrestagung Restrukturierung

Bei sorgfältiger Betrachtung unserer Vergangenheit stoßen wir auf eine faszinierend und teilweise schizophren anmutende Menschheitsgeschichte von partiellem Wahnsinn und absoluter Brillanz – nicht nur, wenn es um den Einsatz neuer Technologien geht. Werfen wir einen Blick in einige dieser Geschichten.

1961 HAVANNA, KUBA: Die Welt steht am Rande eines nuklearen Holocaust. Eine Realität entstanden durch die Auswirkungen des kalten Kriegs, politischer Doktrinen, harter Grenzen und nicht zuletzt technologischen Fortschritts. Nur Diplomatie und der reine Instinkt für das Wesen der menschlichen Existenz auf beiden Seiten verhinderten das Schlimmste.

Eine Geschichte, die die prekäre Lage der Welt zu jener Zeit besonders gut widerspiegelt findet sich in dem indirekten Angebot Fidel Castro an die Sowjetunion, „das Problem“ zu lösen und die kommunistische Revolution durch den Abschuss von Atomraketen von kubanischem Boden, zum Sieg zu tragen. Sein Kampfgefährte Che Guevara ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er sagte: „Wir sagen, dass wir den Weg der Befreiung beschreiten müssen, auch wenn er Millionen von Atomkriegsopfern kosten kann. Im Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei Systemen können wir an nichts anderes denken als an den endgültigen Sieg des Sozialismus oder seinen Untergang als Folge des nuklearen Sieges der imperialistischen Aggression.” 1962 antwortete der ehemalige Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, in einem Brief an Fidel Castro, dass er mit der Idee nicht einverstanden sei, weil sie unweigerlich zu einem thermonuklearen Krieg führen würde und dass es doch noch eine Welt bräuchte, in die die Revolution getragen werden könnte.

1961 NEW YORK, USA: Im selben Jahr ratifizieren 12 Nationen einen Vertrag zur gemeinsamen Verwaltung eines ganzen Kontinents. Ein Kontinent, der größer ist als die Vereinigten Staaten. Ein Kontinent, der 90% der Süßwasserreserven der Welt beheimatet und für das Klima unseres Planeten von außerordentlicher Bedeutung ist: die Antarktis. Es ist das Jahr, in dem einer der ermutigendsten Verträge der Menschheit unterzeichnet wurde – der Antarktis-Vertrag.

OPEN-SOURCE-KONZEPT: Der Vertrag – beinhaltet mehrere Kapitel zur ausschliesslich friedlichen und wissenschaftlichen Nutzung der Antarktis. Damit einhergehend regelt der Vertrag auch die gemeinschaftliche Nutzung aller Forschungsergebnisse und Daten. Ein Konzept, das für die damalige Zeit revolutionär erschien und das für die Findung von Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit – wie Klimawandel oder die effektive Bekämpfung einer Pandemie – von entscheidender Bedeutung sind.

2020 PLANET ERDE. In der Geschichte haben wir oft die positiven wie auch die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft unterschätzt, die von revolutionären Technologien ausgehen. Doch kann Technologie selbst nicht mit den Begriffen gut oder schlecht beurteilt werden. Vielmehr muss beurteilt werden, wie die Gesellschaft diese nutzt. Heute stehen wir wieder am Rande einer solchen gesellschaftlichen Herausforderung.

Wir leben in einer global vernetzten Welt. Technologischer Fortschritt hat Daten zu einer der wichtigsten Ressourcen gemacht. Der Mitbegründer von Twitter, Evan Williams, erklärte in einem Interview der New York Times 2017 überraschenderweise das Folgende: „Ich dachte, wenn alle Menschen frei sprechen und Informationen und Ideen austauschen können, wird die Welt – automatisch – zu einem besserer Ort. Ich habe mich geirrt“.

Man könnte leicht den Eindruck gewinnen, dass dieses Phänomen neu ist, aber Niall Ferguson, Geschichtsprofessor und Senior Fellow des Hoover Institutes ist davon überzeugt, dass der heutige technologische Fortschritt und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im 15. Jhdt. vergleichbar sind. Die Druckerpresse hatte viele positive Auswirkungen auf den Fortschritt der Menschheit und katapultierte die Bibel 200 Jahre lang auf den ersten Platz der Buch-Bestsellerliste. Leider machte die gleiche Technik “Malleus Maleficarum”, auch bekannt als der „Hexenhammer“, für dieselbe Zeit zur Nummer 2 auf dieser Liste.  Das Buch war die Grundlage für die Hexenjagd und brachte so vielen Unschuldigen den Tod. Sicherlich würde man heute die Inhalte des Buches als „Fake News“ bezeichnen.

GEGENWART & DIE WELT VON MORGEN

Wir alle gestalten heute die Welt von morgen, und unser Streben hat bereits zu viel Gutem geführt. Technologie und menschliche Kreativität haben bspw. dazu beigetragen, die Armutsquote weltweit massiv zu senken. In den letzten 25 Jahren wurden hierbei mehr als eine Milliarde Menschen extremer Armut befreit.

Betrachten wir den Moment so kommt man nicht umhin der aktuellen COVID-19-Pandemie einige Zeilen zu widmen. Es ist eine globale Herausforderung und könnte gleichzeitig die nächste Geschichte des menschlicher Brillanz und Wahnsinns sein. Wir werden dank der KI-basierten Analyseelemente enorme Fortschritte in der medizinischen Forschung und bei den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erleben. Wir werden aber auch Zeugen einer Rezession werden, die historisch gesehen immer ein Element für Populismus und Nationalismus war. All dies in einem Umfeld von Angst und geschlossenen Grenzen. In diesen Situationen, in denen sich viele von hilflos fühlen, ging Wandel immer von fortschrittlichen Denkern aus, die von ihren Ideen überzeugt waren, von Kant über Ghandi bis zu den Vordenkern der heutigen Zeit.

In unserer offenen Gesellschaft und mit Machine- und Deep Learning Technologien in unseren Händen haben wir die Möglichkeit die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wir können in unseren Berufen viel Neues bewegen, und wir können gegen polarisierende Bewegungen und Ungerechtigkeit in jeder Hinsicht aufstehen und uns Gehör verschaffen. Wir können unsere Kreativität und unseren Intellekt einsetzen, um „den Fortschritt des Denkens” zu verteidigen, der schon immer das Ziel hatte, den Menschen von seiner Angst zu befreien“, genau wie es eines der Ziele des Zeitalters der Aufklärung war.

Quellen:
https://www.plattform-lernende-systeme.de/home-en.html
http://www.niallferguson.com
http://antarcticblanc.com
https://www.ats.aq/index_e.html
https://www.nytimes.com/2017/05/20/technology/evan-williams-medium-twitter-internet.html
Fotoquelle: https://pixabay.com

Human. Digital. Culture. Our life in times of exponential technologies

16 January 2019 – Author: Jochen Werne

Almost every day, experts in the media try to create a historical analogy for us in order to explain the dynamics and speed with which changes are taking place today at all levels of our lives – from private consumption and our working world to international politics. Often analogies are drawn to different decades of the 20th century. The prominent British historian and Harvard professor Niall Ferguson contradicts these comparisons and sees an analogy rather in the effects that the invention of the printing press in the 15th century had on our lives and on our society. Only that today the changes due to exponential technologies and the Internet take place much faster.

For us as the HUMAN Factor, these comparisons are incredibly important. In times of uncertainty, they help us to better assess the changes and thus at least maintain a certain reassuring feeling of security and explainability. However, if we do not succeed in setting the right filters in times of social media and “information overload”, we run the risk that this feeling of understanding does not materialize and that we all too easily become victims of supposedly simple explanations and “fake news”. Ferguson uses a striking example to illustrate that this is not a new phenomenon and that serious technological changes have also brought major and often turbulent changes to society. In times of the invention of book printing, knowledge was spread more cheaply and a broad part of the population gained access to higher education. One of the first books to be printed in large numbers was the Bible. But also other writings, like “Malleus Maleficarum” or in English the “Hammer of Witches” became famous. The “Fake News” book served to justify the persecution of witches, appeared in 29 editions and has been second place on the book bestseller list for 200 years.

At the latest since the end of the 1990s, since the mass “democratization” of the Internet, our lives have been shaped by the exponential progress of modern technologies. The associated digitalization – the DIGITAL Factor – is not only a technical and economic challenge, but also a societal one. However, the enlightened man began, not to accept everything that a “Beautiful New World”, sometimes reminiscent of Aldous Huxley’s novel, promises. This is shown by citizen projects such as the so-called “Charter of Digital Fundamental Rights” of the European Union.

The word “exponential” automatically hides the logical conclusion that change will take place even faster in the future. These changes affect almost every industry and what is seen today as a billion-dollar future market can quickly become a basic business with significantly lower costs and thus significantly lower profit margins tomorrow. The camera chip of our smartphones costs today only about two to three Euros, a Spotify subscription, and thus the access to an incredible amount of music, only a few Euros a month.

The conclusion for companies in the 21st century is simple: Those who do not understand these exponential dynamics of technical development or do not take them sufficiently into account in their business model can quickly lose touch – not only with customers but also with potential business partners. But why is it so difficult for us to correctly assess the development potential of the technologies? The answer: People think linearly. This is why technologies are usually overestimated at the beginning of their development, but tend to be underestimated in the long run. This was first described in 1965 by the Intel engineer Gordon Moore – later known as Moore´s Law, one of the essential theoretical foundations of the “digital revolution”. In times of exponential technologies, our society risks a split between the group of people with an affinity for digital and digital natives and a group of people who have growing difficulties with the speed of change of our time. The latter have not learnt to keep pace with fast-moving digital innovations due to their low affinity, age or lack of points of contact in everyday life.

Throughout history, new technological possibilities have always come with threatening concepts that have been published and discussed on all media channels available during this period. Today it is: “total transparency”, “transparent consumer”, “constant availability” or even job loss due to ongoing automation and artificial intelligence. At the social and state level, attempts are being made to counteract such fears, to increase competitiveness and to involve the population in the process of change. Two of the many good examples referring to Germany are the strategy on artificial intelligence put in place by the Federal Government and the Platform for Learning Systems initiated by the Federal Ministry of Education and Research.

It is important never to forget, that every change – even if the trigger is a rapidly developing technology – requires a certain time horizon to be implemented and to create broad acceptance. Here the “CULTURE Factor” often comes into play. One example is cash. While the Scandinavian countries, above all Sweden, are about to digitalize their payment systems to a large extent, in Germany currently about 80 percent of all transactions are carried out with cash.

In every business model, global trends need to be identified, changes need to be driven, and local conditions need to be taken into account in order to be successful in this market. The same formula applies to societal change. Especially when it comes to creating an agenda for the use of new technologies for the benefit of our society.

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Photo from Niall Ferguson and Peter Robinson discuss networks and hierarchies throughout history in this episode of Uncommon Knowledge. Quote from the New York Times article “‘The Internet Is Broken’: @ev Is Trying to Salvage It” by David Streitfeld